„Nachdem ich einmal angefangen hatte, gab es kein Halten mehr".

HERR KLEE UND HERR FELD 

LESUNGEN


Deutsch­land­ra­dio Kultur


WDR3 Buch­re­zen­si­on — 07.08.2013: Herr Klee und Herr Feld


WDR5
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Abendjournal Spezial: Michel Bergmann

  • NDR 90,3 — 23.03.2013 20:00 Uhr Autor/in: Büch­sen­mann, Dr.Jens
  • Der Ham­bur­ger Dreh­buch­au­tor und Regis­seur Michel Berg­mann ist auch als Autor erfolg­reich. Bei NDR 90,3 erzählt er vom Fin­den und Wie­der­fin­den jüdi­schen Lebens in Deutschland.

 Herr Klee und Herr Feld — Gespräch mit Michel Bergmann

  • Autor/-in:Lore Klei­nert
  • Länge:10:33 Minu­ten
  • Datum:Samstag, 6. April 2013
  • Sendereihe:Hot Jazz | Nordwestradio

DIENSTAG, 06. AUGUST 2013

FAZFEUILLETON

Eine Ring­pa­ra­bel für unse­re Zeit

Michel Berg­mann beschließt mit „Herr Klee und Herr Feld“ sei­ne Roman­tri­lo­gie über jüdi­sches Leben in Frank­furt. Die bio­gra­phi­schen Lini­en geben ihr Zusam­men­halt und dem humor­vol­len Roman tie­fe­ren Ernst.

Manch­mal ist ein Wort ein Wort zu viel. In Michel Berg­manns neu­em Roman „Herr Klee und Herr Feld“ lau­tet die­ses häss­li­che, unge­heu­er­li­che Wort „Bas­tard“. In einem sinn­lo­sen Streit leicht­sin­nig aus­ge­spro­chen, führt es zum Bru­der­mord. Doch eine so fata­le und tra­gi­sche Wucht kann die­ses Wort nur erlan­gen, weil es ein tief­sit­zen­des Trau­ma berührt. Noch ein­mal geht es um Alfred Klee­berg, des­sen Bekannt­schaft wir in Berg­manns ers­tem Roman „Die Teila­cher“ als mit­tel­mä­ßi­gen Film­schau­spie­ler im Frank­furt der sieb­zi­ger Jah­re machen konn­ten und von des­sen Jugend in den Fünf­zi­gern das zwei­te Buch „Mach­loi­kes“ erzählt (F.A.Z. vom 19. August 2010 und 7. Febru­ar 2012). Nun ist „Fred­dy Clay“, der ziem­lich ver­ges­se­ne Vam­pir­dar­stel­ler in grot­ti­gen Hol­ly­wood­strei­fen, end­gül­tig ins Westend zurück­ge­kehrt und bei sei­nem drei Jah­re älte­ren Bru­der Moritz ein­ge­zo­gen. Alfred ist ein fünf­und­sieb­zig­jäh­ri­ger Snob und ewi­ger Jung­ge­sel­le, der täg­lich das Inter­net nach ein klein wenig Nach­ruhm durch­fors­tet, Moritz hin­ge­gen ein rüs­ti­ger Wit­wer und geis­tig agi­ler Eme­ri­tus der Psychologie.

Unter­schied­li­cher könn­ten die bei­den Klee­felds kaum sein, nur ihren Nach­na­men haben sie wirk­lich brü­der­lich in Alfred Klee und Moritz Feld auf­ge­teilt. Ansons­ten necken sie sich mit ihren alters­ge­mä­ßen Zip­per­lein, erei­fern sich über die Schrul­len des jeweils ande­ren und strei­ten über alle mög­li­chen Klei­nig­kei­ten, etwa dar­über, wer zuerst das Feuil­le­ton die­ser Zei­tung lesen darf. Über alle Gegen­sät­ze hin­weg ver­bin­det bei­de aber ihr sar­kas­ti­scher Humor bei gleich­zei­tig lie­be­vol­ler Sor­ge für­ein­an­der. Die­se über­nimmt dann zuneh­mend die jun­ge, bild­hüb­sche Zami­ra Latif, die zu Beginn des Romans – nach komi­schen Vor­stel­lungs­ge­sprä­chen mit einem guten Dut­zend Nie­ten – die Stel­le von Moritz Klee­felds schei­den­der lang­jäh­ri­ger Haus­häl­te­rin antritt.

Zami­ra ähnelt einem Gold­stück, aller­dings mit schar­fen Kan­ten, denn sie ist eine poli­tisch enga­gier­te Paläs­ti­nen­se­rin. Moritz führt einen kosche­ren Haus­halt, hei­ligt den Schab­bat und hält auf Tra­di­tio­nen, über die sich sein Bru­der gern lus­tig macht. Doch der Schein trügt. In den ers­ten Sät­zen von Alfreds Memoi­ren steht geschrie­ben: „Ich bin rück­wärts­ge­wandt, aber mache auf modern und pro­gres­siv. Ich bin gläu­big, tar­ne mich aber als Athe­ist. Ich bin Kapi­ta­list, aber mache auf Sozia­list. Ich ent­spre­che dem Bild, das die Welt von Juden hat.“

Wie die vor­an­ge­hen­den Roma­ne über die Kauf­manns­welt der „Teila­cher“ und die zag­haf­te Rück­kehr von Emi­gran­ten in ein alles ande­re als freund­li­ches Nach­kriegs­deutsch­land, han­delt auch die­ses Buch von jüdi­schem Leben in unse­rem Land. Das Zusam­men­spiel zwi­schen den drei Figu­ren – einem tra­di­tio­nell ori­en­tier­ten ehe­ma­li­gen Ber­ke­ley-Pro­fes­sor, einem eben­falls ame­ri­ka­nisch gepräg­ten, säku­lar auf­tre­ten­den Künst­ler und einer über­aus kul­ti­vier­ten jun­gen Musi­ke­rin, die sich nur knapp den Bezie­hungs­zwän­gen einer ara­bisch gepräg­ten Gesell­schaft ent­zie­hen kann – erscheint all­zu kon­stru­iert. Doch ihre aktu­el­len poli­ti­schen Dis­kus­sio­nen über den Nah­ost- und Syri­en-Kon­flikt, die nur zu Beginn des Romans all­zu bekann­te Argu­men­te auf­grei­fen, sind wert­voll. Manch­mal wirkt das wie eine neu erzähl­te Ring­pa­ra­bel – auf­ge­klärt, ohne Pathos und Schmon­zes, ganz im Sin­ne Lessings.

Eben­so wich­tig ist die Ver­mitt­lung jüdi­scher Lebens­wel­ten im Zei­chen des Holo­causts. Berg­mann, der 1945 in einem Schwei­zer Inter­nie­rungs­la­ger zur Welt kam, erfin­det die Geschich­te der Klee­felds über­aus rea­lis­tisch, die meis­ten von ihnen kamen in Maj­da­nek, Treb­lin­ka, Ausch­witz oder ande­ren Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern um. Als Moritz und Alfred das Fami­li­en­grab im frän­ki­schen Zirn­dorf besu­chen, begeg­net ihnen die gut beob­ach­te­te Unbe­hol­fen­heit eines um Ver­söh­nung bemüh­ten Bür­ger­meis­ters oder der betre­te­nen neu­en Bewoh­ner in der einst kon­fis­zier­ten Vil­la. Auf dem Fried­hof führt sie eine beflis­se­ne Ahnen­for­sche­rin, die aus Über­zeu­gung Jüdin wur­de. Alfreds unbe­dach­te Äuße­rung: „Kon­ver­ti­ten, das sind die Schlimms­ten“, geht die­sem Bekennt­nis vor­an, gern hät­te er sie rück­gän­gig gemacht.

Über die­sen Faux­pas wird nicht wei­ter nach­ge­dacht, doch liegt dar­in ein tie­fe­rer Sinn. Denn die Mut­ter von Moritz und Alfred war ursprüng­lich eine Pro­tes­tan­tin aus Alto­na, die aus Lie­be zum Ban­kier Klee­feld Jüdin wur­de. Im hala­chi­schen Sin­ne ist das von gro­ßem Gewicht. Spä­ter leb­te sie mit David Ber­mann zusam­men, den Alfred im ers­ten Roman, „Die Teila­cher“, in einem Frank­fur­ter Alters­heim beim Ster­ben beglei­tet. Dass die­ser „Onkel“ in Wirk­lich­keit sein Vater war, erfah­ren wir erst jetzt. Alfreds Schock über die­se spä­te, nur zufäl­lig in einem hin­ter­las­se­nen Brief ent­deck­te Offen­ba­rung bil­det ein gehei­mes Gra­vi­ta­ti­ons­zen­trum des neu­en Romans. Plötz­lich wer­den die unter­schied­li­chen Tem­pe­ra­men­te der Brü­der nach­voll­zieh­bar sowie das belas­te­te Ver­hält­nis zur Mut­ter, und auch das unver­zeih­li­che Streit­wort „Bas­tard“ wur­zelt hier.

Die­se bio­gra­phi­schen Lini­en geben der Tri­lo­gie Zusam­men­halt und ver­lei­hen dem oft humor­vol­len Roman tie­fe­ren Ernst. Die Spra­che ist all­täg­lich, nicht lite­ra­risch, manch­mal all­zu salopp und dem Alter der Figu­ren kaum ange­mes­sen. Der Duk­tus von Dreh­bü­chern für Film und Fern­se­hen, die Berg­mann in gro­ßer Zahl geschrie­ben hat, schim­mert unüber­seh­bar durch, vor allem die Dia­lo­ge sind manch­mal als schlich­te Unter­ma­lun­gen für Bild­se­quen­zen zu den­ken. Lesens­wert ist das Buch gleich­wohl, weni­ger als gro­ße Lite­ra­tur denn als Ein­blick in eine sich wei­ter fes­ti­gen­de jüdi­sche Kul­tur in Deutsch­land.             Alex­an­der Košenina