„Nachdem ich einmal angefangen hatte, gab es kein Halten mehr".

– „Michel Berg­mann hat eine beson­de­re Gabe, die sicher­lich auch sei­nem Erfolg als Dreh­buch­schrei­ber zuzu­ord­nen ist: er kann in ver­schie­de­nen Ebe­nen, Sprach­sti­len und äus­serst poin­tier­ten Dia­lo­gen schrei­ben“, schwärmt der Durchleser.
– „Unver­ges­sen ist das Gefühl, wel­ches ich hat­te, als ich das ers­te Mal die­sen schma­len und mit blau­em Lei­nen wun­der­schön gestal­te­ten Band in der Hand hielt. Etwas unwi­der­steh­lich Geheim­nis­vol­les strahl­te von ihm aus“, erzählt Masuko13 auf We read Indie.
– „Die­ser kur­ze, und auf den ers­ten Blick recht unschein­ba­re Roman flößt einem beim Lesen soviel Angst und Schre­cken ein, dass man im ers­ten Moment froh ist, damals nicht gelebt zu haben“, heißt es bei Frauhauptsachebunt.

07.08.2015
Lovely Books:
„Dir weist das Meer den Weg ins Licht, mich führt es heim.“ so lau­tet die letz­te Zei­le eines Gedichts, geschrie­ben von Leo­nard Wein­he­ber, der, nach dem ihm in Nazi-Deutsch­land das Wort ver­bo­ten wird, sich auf­macht übers Meer, in ein Land, dass ihm nicht Hei­mat, nur Flucht­punkt ist.

Der Ich-Erzäh­ler, Eli­as Ehren­werth, ein jun­ger Ber­li­ner Deutsch­ju­de ist auf der last-minu­te Suche nach einem Geburts­tags­ge­schenk für sei­ne Freun­din Lisa Win­ter, dabei stol­pert er in einem tür­ki­schen Kreuz­ber­ger Trö­del­la­den über einen leder­nen Rei­se­kof­fer. Die­ses mit Rei­se­auf­kle­bern mon­dä­ner Grand­ho­tels gepflas­ter­te Rei­seu­ten­sil trans­por­tiert den Charme einer ande­ren Zeit und ist dazu mit den Initia­len L.W. ver­se­hen, per­sön­li­cher kann ein Prä­sent kaum sein. Also wech­selt es den Besit­zer. Eli­as fin­det im Kof­fer eine Visi­ten­kar­te mit dem voll­stän­di­gen Namen und der Anschrift des ehe­ma­li­gen Besit­zers: Dr phil. Leo­nard Wein­he­ber, wohn­haft Vik­to­ria Loui­se Platz 14, Ber­lin Wilmersdorf.

Neu­gie­rig sucht Eli­as die ange­ge­be­nen Adres­se auf, vor dem Gebäu­de fin­det er einen jener zur Erin­ne­rung in den Boden ein­ge­las­se­nen „Stol­per­stei­ne“ mit Wein­he­bers Namen. Eine Bewoh­ne­rin des Hau­ses gibt ihm wei­te­re Hin­wei­se, spä­tes­tens in die­sem Moment wird aus dem Kof­fer, aus dem Namen, ein Mensch und wie ein Fähr­ten­le­ser folgt des­sen Spuren.

Er erfährt, dass sich Wein­ber­ger 1939 mit einem ita­lie­ni­schen Schiff von Mar­seil­le über Genua nach Jaf­fa auf­ge­macht hat. Aber wie konn­te Eli­as den Kof­fer dann in Ber­lin kau­fen? Ihm gelingt es den Vor­be­sit­zer zu ermit­teln, einen jun­gen ara­bi­schen Stu­den­ten, der jenen Kof­fer von sei­nem Groß­va­ter in Jaf­fa, Isra­el geschenkt bekom­men hat.

Das Land sei­nes Vaters, in dem er die Film­hoch­schu­le besucht hat und des­sen Poli­tik er in jeder Small Talk Run­de ver­tei­di­gen soll: “So kam, wie bei jeder kul­ti­vier­ten deut­schen Gesel­lig­keit, der Holo­caust auf die Tages­ord­nung. Aber nur kurz, denn dann wur­de die zwei­te Stu­fe gezün­det: ISRAEL!”, ist Eli­as nicht unbe­kannt, also fliegt er nach Israel.

In Jaf­fa trifft er den mus­li­mi­schen Groß­va­ter, der 1939 jenes Schiff ent­la­den hat, mit dem Wein­he­ber hät­te ankom­men sol­len. Da der deut­sche Pas­sa­gier sei­nen Kof­fer aus dem Fund­bü­ro nicht abge­holt hat, gin­gen er und sein Inhalt in den Besitz des Hafen­ar­bei­ters über. Die Klei­dung trägt der alte Mann und die per­sön­li­chen Din­ge, den er bis zu die­sem Tag im Kel­ler sei­nes Hau­ses ver­wahrt, über­gibt er Elias.

Die­ser ent­deckt Lie­bes­brie­fe an eine jun­ge Frau, die schon 1938 nach Paläs­ti­na gereist ist. Wein­he­ber, der assi­mil­lier­te Jude, zögert da noch sein Land, in dem er über einen deut­schen Dich­ter pro­mo­viert hat­te, des­sen Spra­che sein Werk­zeug ist, gegen eine „unkul­ti­vier­te Wüs­te bevöl­kert mit Kaf­tan­ju­den“ ein­zu­tau­schen. Er will glau­ben, dass das alles nur ein gro­ßer Irr­tum ist. Er soll­te es eigent­lich bes­ser wis­sen, beschreibt er in einem Roman­ma­nu­skript doch den Kampf eines jun­gen Rechts­an­wal­tes, der für einen armen, recht­lo­sen Ost­ju­den und sei­ne Fami­lie Gerech­tig­keit ein­for­dert, nach­dem des­sen Geschäft beim Scheu­nen­vier­tel­pro­grom in Ber­lin 1923 zer­stört wird. Als der Roman abge­lehnt und er mit einem Berufs­ver­bot belegt wird, schifft der Roman­cier sich schwe­ren Her­zens gen Paläs­ti­na ein, um sei­ner Lie­be zu folgen.

Auf der Über­fahrt lernt er ein jun­ges fünf­zehn­jäh­ri­ges Mäd­chen ken­nen, die vol­ler Vor­freu­de auf ein frei­es, unge­zwun­ge­nes Leben in einem auf­re­gen­den Land ist. Die­se Begeg­nung zeigt, dass der Abschied nicht jedem gleich schwer fiel, je nach­dem, was man zurück­ließ: „Ich bin jung genug, um die­ses ekel­haf­te Land hin­ter mir zu las­sen. Für mich ist es ver­sun­ken, im Meer! Im Meer des Vergessens.“

In die­sem berüh­ren­den Kurz­ro­man von Michel Berg­mann folgt der Ich-Erzäh­ler, und wir mit ihm, den Spu­ren eines Leder­kof­fers und sei­nes Besit­zers vom Mul­ti­kul­ti-Kiez Ber­lin Kreuz­berg nach Isra­el, von der Jetzt­zeit mit sei­ner hit­zig geführ­ten Zwei­staa­ten Dis­kus­si­on zurück in die Ver­gan­gen­heit, in der ver­zwei­fel­te Men­schen auf der Suche nach dem einem Staat, der sie woll­te, waren. Berg­mann spielt vir­tu­os mit den ver­schie­den Sprach­sti­len, zitiert die zar­ten Lie­bes­brie­fe aus den 30ern, lässt den Ich-Erzäh­ler päd­ago­gi­sche Auf­klä­rungs­re­den schwin­gen oder mit lako­nisch Sprü­chen das typi­sche Groß­stadt­le­ben kom­men­tie­ren und schreibt ein Roman­ma­nu­skript für den ver­miss­ten Schrift­stel­ler, das man ger­ne ver­öf­fent­licht sähe. Wie bei einer Schnit­zel­jagd arbei­ten wir uns von Hin­weis zu Hin­weis, von Begeg­nung zu Begeg­nung und erfah­ren dabei so viel mehr als nur die Geschich­te des Gepäckstücks.

Deut­sche Lite­ra­tur­buch­hand­lung, Paris, Cent­re Pom­pi­dou vom 01.06.2015

Wein­he­bers Kof­fer“ ist ein ganz beson­de­rer Roman. Er beschäf­tigt sich so raf­fi­niert und prä­gnant mit der trau­ri­gen Ver­gan­gen­heit, die beim Leser durch die­sen eigent­lich so bana­len Kof­fer eine so uner­sätt­li­che Neu­gier­de aus­löst, dass wir an dem Text wirk­lich vom ers­ten Moment an wahr­lich fest­kle­ben und unbe­dingt alles über Leo­nard Wein­he­ber wis­sen wol­len. Michel Berg­mann gelingt es, ein schwie­ri­ges The­ma der Geschich­te spie­le­risch, aber trotz­dem sehr ernst­haft wie­der in Erin­ne­rung zu brin­gen. Der Roman unter­hält auf wun­der­bar intel­lek­tu­el­le Wei­se, amü­siert uns in man­cher­lei Hin­sicht und lässt uns aber auch gleich­zei­tig nach­denk­lich und vor allem sehr nach­hal­tig berührt am Ende zurück.

Ralph Wag­ner, Ypsi­lon Buch­la­den & Café:
Der Jour­na­list und Fil­me­ma­cher Eli­as Ehren­werth ist auf der Suche nach einem außer­ge­wöhn­li­chen Geburts­tags­ge­schenk für sei­ne Freun­din. Bei einem Ber­li­ner Tröd­ler ent­deckt er einen alten, gut erhal­te­nen Kof­fer, der unter dem Tra­ge­griff zwei gold­ge­präg­te Initia­len hat: L.W. Eli­as kauft den Kof­fer ohne lan­ges Über­le­gen, denn mit ihm scheint er das per­fek­te Geschenk für sei­ne Freun­din Lisa Win­ter gefun­den zu haben. Zu Hau­se ent­deckt er in einer Stoff-Innen­ta­sche des Kof­fers eine ange­grau­te Visi­ten­kar­te. Augen­blick­lich ist sei­ne Neu­gier geweckt. Der Jour­na­list ist elek­tri­siert, wit­tert er doch eine span­nen­de Sto­ry. Umge­hend beginnt Eli­as mit sei­ner Recher­che, um so viel wie mög­lich über den frü­he­ren Besit­zer des Kof­fers, einen gewis­sen Dr. phil. Leo­nard Wein­he­ber aus Ber­lin-Wil­mers­dorf, her­aus­zu­fin­den. Sei­ne Spu­ren­su­che führt ihn in das heu­ti­ge Isra­el und in die deut­sche Ver­gan­gen­heit. Eli­as fin­det her­aus, dass Leo­nard Wein­he­ber Schrift­stel­ler war. 1939 befand er sich mit wei­te­ren 700 Juden aus ver­schie­de­nen euro­päi­schen Län­dern auf der Adria­ti­ca, einem Flücht­lings­schiff auf dem Weg von Mar­seil­le nach Jaf­fa. Doch in Paläs­ti­na kam ledig­lich sein Kof­fer an, der fast 70 Jah­re spä­ter in Ber­lin wie­der auf­tauch­te. Eli­as spürt der Sache wei­ter nach: In Isra­el trifft er den Mann, der den her­ren­lo­sen Kof­fer 1939 an sich genom­men und auf­be­wahrt hat. Neben Klei­dungs­stü­cken und einer Schreib­ma­schi­ne befan­den sich auch ein Bün­del Brie­fe und ein Roman-Manu­skript darin.

Geschickt und wir­kungs­voll lässt Michel Berg­mann Roman­frag­men­te und Brie­fe der bereits in Paläs­ti­na leben­den Freun­din Leo­nard Wein­ber­gers, Len­ka Rosen, in sei­ne Erzäh­lung ein­flie­ßen. Damit lie­fert er nicht nur Puz­zle­stü­cke für Eli­as’ Recher­che, son­dern ver­an­schau­licht sowohl die beklem­men­de Atmo­sphä­re als auch die sich immer dra­ma­ti­scher zuspit­zen­de Situa­ti­on für die deut­schen Juden seit der Reichs­po­grom­nacht. Heu­te ist uns bekannt, wohin das alles geführt hat und dass auch die Staats­grün­dung Isra­els 1948 eine Kon­se­quenz der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Poli­tik des Ver­trei­bens und Mor­dens war. Und hier schlägt der Autor den nächs­ten Bogen: Er the­ma­ti­siert das Infra­ge­stel­len des Exis­tenz­rechts Isra­els, die inne­ren Wider­sprü­che und Pro­ble­me der israe­li­schen Gesell­schaft sowie das Ver­hält­nis zu und den Umgang mit den Paläs­ti­nen­sern. Es sind gro­ße, kom­ple­xe und strit­ti­ge Fra­gen, die Michel Berg­mann in sei­nem zwar nur 140 Sei­ten zäh­len­den, dafür aber umso gewich­ti­ge­ren Roman anspricht. Sei­ne The­men sind Ver­lust von Rech­ten, Ver­trei­bung und Flucht sowie der legi­ti­me Kampf für das eige­ne Exis­tenz­recht. Michel Berg­mann erzählt mit viel Empa­thie, einem wun­der­ba­ren Humor, aber auch streit­lus­tig und iro­nisch. Her­aus­ge­kom­men ist ein fei­nes klei­nes Buch, das kei­ne schnel­len Ant­wor­ten bie­tet, aber viel Stoff zum Nach­den­ken und Dis­ku­tie­ren birgt.

Wein­he­bers Kof­fer” von Michel Bergmann

Als sich der Jour­na­list Eli­as Ehren­werth auf die Suche nach einem Geburts­tags­ge­schenk für sei­ne Freun­din Lisa Win­ter macht, fin­det er in einem Second-Hand-Laden einen alten Kof­fer mit den Initia­len L.W. In der fes­ten Absicht, die­sen Kof­fer sei­ner Freun­din zu schen­ken, nimmt er ihn mit nach Hau­se. Dort ange­kom­men ent­deckt er beim nähe­ren Betrach­ten eine Visi­ten­kar­te des ehe­ma­li­gen Kof­fer­be­sit­zers: Dr. phil. Leo­nard Wein­he­ber. Neu­gie­rig wer das wohl sein mag, macht sich Ehren­wirth auf die Suche.

Ehren­wirth, der als Jour­na­list und Fil­me­ma­cher hin­ter die­sem Kof­fer eine span­nen­de Geschich­te wit­tert, erzielt schnell ers­te Erfolgs­er­geb­nis­se. Sei­ne Suche nach Wein­he­ber führt ihn von Ber­lin nach Isra­el. Dort­hin woll­te der damals noch jun­ge Schrift­stel­ler flie­hen, kurz nach der Reichs­po­grom­nacht im Novem­ber 1938. In Isra­el ange­kom­men, trifft er sich mit dem Mann, der den Kof­fer sei­nem Enkel mit nach Deutsch­land gege­ben hat. Nicht ahnend, wie sehr ihn die­ses Tref­fen und sei­ne wei­te­ren Recher­chen emo­tio­nal erschüt­tern werden.

Es ist eine Geschich­te über den Ver­lust lieb­ge­won­ne­ner Men­schen, über das Zurück­las­sen der eige­nen See­le, das Auf­ge­ben der eige­nen Frei­heit, die letzt­end­lich gar kei­ne mehr ist. Getrie­ben von der Angst nicht mehr der sein zu dür­fen, der man ist. Kei­ne Rech­te mehr zu haben, weil man in ande­rer Leu­te Augen dem fal­schen Glau­ben angehört.

Die­ser kur­ze, und auf den ers­ten Blick recht unschein­ba­re Roman, flösst einem beim Lesen soviel Angst und Schre­cken ein, dass man im ers­ten Moment froh ist, damals nicht gelebt zu haben. Doch je wei­ter die Geschich­te vor­an­schrei­tet, des­to bewuss­ter wird einem, wie aktu­ell das Geschil­der­te ist. Durch die häu­fi­gen Wech­sel zwi­schen Ver­gan­gen­heit und Gegen­wart, und die im Vor­der­grund ste­hen­de Fra­ge, was denn wirk­lich mit Wein­he­ber gesche­hen ist, wird einem die poli­ti­sche Aktua­li­tät die­ses Romans erst nach und nach bewusst. Die Aus­ein­an­der­set­zun­gen in Isra­el, das Leid der Men­schen, und auch hier die Unge­wiss­heit wie es in Zukunft weitergeht.

Trotz gera­de ein­mal 142 Sei­ten ist dies eine so ein­dring­li­che Geschich­te, die sowohl den Schre­cken der Ver­gan­gen­heit wie­der ans Tages­licht holt, als auch die aktu­el­le poli­ti­sche Lage wider­spie­gelt. Eine Geschich­te die ins Herz trifft, die einen sprach­los zurück­lässt und man sich nichts sehn­li­cher wünscht, als das jeder Hei­mat­lo­se, jeder Ver­trie­be­ne dort­hin zurück­keh­ren darf, wo die See­le zuhau­se ist, und zwar in Frieden!

Ich kann es nicht her­aus­rei­ßen aus mei­nem Her­zen, sag­te er, mein Deutsch­land ist nicht das Land der Nazis. Es ist das Land Schil­lers, Bör­nes, Beet­ho­vens… Ich habe über drei­ßig Jah­re in die­sem Land gelebt. Ich habe es noch gekannt, als es noch nicht schul­dig war, noch nicht infi­ziert vom Geist des Bösen…Ich habe Büch­ner ver­ehrt und Tho­mas Mann. All das hat sich ein­ge­brannt in mei­ne See­le und das lässt sich nicht wegwischen.”
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Wein­he­bers Koffer
Michel Bergmann

Ein klei­nes Buch, das eine gro­ße Geschich­te erzählt und mich sehr berührt hat. Der Ber­li­ner Jour­na­list Eli­as Ehren­wirth erwirbt bei einem Tröd­ler einen alten Kof­fer, der ihm als Geschenk für sei­ne Freun­din geeig­net scheint. Er recher­chiert über die Geschich­te des Kof­fers, der die Initia­len L.W. trägt und fin­det her­aus, dass der Kof­fer dem Schrift­stel­ler Leo­nard Wein­he­ber gehör­te, der Anfang 1939 Deutsch­land mit Ziel Paläs­ti­na ver­las­sen hat. Eli­as, wie Wein­he­ber Jude, fängt an über die Geschich­te Wein­he­bers zu for­schen. Die Suche führt ihn nach Isra­el. Anders als in sei­nen erfolg­rei­chen Roma­nen „Die Teila­chers“, „Mach­loi­kes“ und „Herr Klee und Herr Feld“ bedient sich Berg­mann die­ses Mal einer knap­pen, kla­ren Erzähl­form, die aber auch sprach­li­che Fines­sen auf­weist, etwa wenn er zwi­schen der Gegen­warts­er­zäh­lung und Pas­sa­gen aus Wein­he­bers (fik­ti­vem) Werk wech­selt. Das Buch wirkt nach­hal­tig und ich wer­de es garan­tiert noch min­des­tens ein zwei­tes Mal lesen.

Sven Puchelt
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Funk­haus Europa;
Buch­tipp — Wein­he­bers Kof­fer: Durch Zei­ten und Welten

Von Ulrich Noller

Jüdi­sches Leben frü­her und heu­te — in den letz­ten Jah­ren gab es eini­ge Bücher, die es geschafft haben, davon auf eine neue Wei­se zu erzäh­len. Neu­es­tes Bei­spiel: Der Roman “Wein­he­bers Kof­fer” von Michel Bergmann.

Michel Berg­mann: Wein­he­bers Koffer

Wie erzählt man von der jüdisch-deut­schen Geschich­te ohne nur zu his­to­ri­sie­ren, ohne den Bezug ins Jetzt zu ver­lie­ren? Belieb­te Mög­lich­keit: Eine Erkun­dung in der eige­nen Fami­li­en­ge­schich­te; aus­ge­löst etwa durch einen Nach­lass, in dem sich Fähr­ten aus der Ver­gan­gen­heit fin­den. Der oder die AutorIn macht sich auf die Suche und schon ist man mit­ten­drin — in Ver­gan­gen­heit und Gegen­wart des jüdi­schen Lebens (in Deutsch­land) zugleich.

Michel Berg­mann, gebo­ren 1945, schon lan­ge in Ber­lin leben­der Schwei­zer, hat für sei­nen Roman “Wein­he­bers Kof­fer” (Edi­ti­on Kat­te­gat bei Dör­le­mann, 16,90 Euro) einen ande­ren Kniff gefun­den — eben den Kof­fer, der der Geschich­te den Titel gibt. Der Erzäh­ler, ein ver­krach­ter Medi­en­schaf­fen­der namens Eli­as Ehren­werth, fin­det ihn auf der Suche nach einem Geschenk für sei­ne Freun­din Lisa Win­ter in einem tür­ki­schen Ber­li­ner Trash-Antiquariat.

Spu­ren­su­che — in Ber­lin und Isra­el, im Damals und Heute

L.W., die Initia­len, die Eli­as Ehren­werth zu dem Kof­fer haben grei­fen las­sen, ver­hin­dern letzt­lich, dass er das Geschenk sei­ner Gelieb­ten auch aus­hän­digt: Sie gehö­ren zu Leo­nard Wein­he­ber, einem Schrift­stel­ler, der sich im Jahr 1939 von Ber­lin aus nach Paläs­ti­na auf­mach­te. Was die Fra­ge auf­wirft: Wie gelang­te der Kof­fer des Exi­lan­ten in die Gegen­wart eines Ber­li­ner Anti­qua­ri­ats, und zwar, wie sich her­aus­stel­len wird, auch noch mit Hil­fe eines jun­gen Paläs­ti­nen­sers? Und über­haupt, was hat es auf sich mit die­sem Leo­nard Wein­he­ber, sei­nem Gepäck­stück — und sei­ner Geschichte?

Samt Kof­fer macht sich Eli­as Ehren­werth also auf die Suche nach den Spu­ren Wein­he­bers, in Ber­lin, in Isra­el, im Damals, im Heu­te. Und er wird fün­dig, hier wie dort — ins­be­son­de­re an Orten, an denen die Geschich­te der Gegen­wart sicht­bar wird. Zum Bei­spiel, wenn er in Jeru­sa­lem eine quick­le­ben­di­ge “alte Schach­tel“ trifft, die mit Wein­he­bers auf dem Schiff war und heu­te dar­un­ter lei­det, dass das Vier­tel, in dem sie seit Jahr­zehn­ten lebt, zuneh­mend reli­gi­ös radi­ka­li­siert wird.

Wein­he­bers Kof­fer” ist ein tol­les Buch, das geschickt kon­stru­iert ist. Die Idee mit dem Kof­fer ist so ein­fach wie geni­al; sie erlaubt es dem Autor, sei­ne Leser ganz umstands­los durch Zei­ten und Wel­ten zu füh­ren. Scha­de nur, dass die Erzäh­lung an eini­gen Stel­len sprach­lich abfällt, da hät­te ein stren­ge­rer Lek­tor Wun­der wir­ken kön­nen. Inso­fern: nur bei­na­he — ein klei­nes Meis­ter­werk. Macht aber nichts, es muss ja nicht jedes Buch ein Meis­ter­werk sein, beson­de­re Geschich­ten rei­chen auch, und eine sol­che ist Michel Berg­mann in jedem Fall gelungen.

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WEINHEBERS KOFFERVON MICHEL BERGMANN 

Der Ewi­ge Jude auf See
Von Ire­ne Wid­mer, sfd

Wein­he­bers Kof­fer” des gebür­ti­gen Schwei­zers Michel Berg­mann ist ein süf­fig-hei­te­rer und den­noch dop­pel­bö­di­ger Roman. Er beginnt als Spu­ren­su­che nach einem ver­schol­le­nen Kof­fer­be­sit­zer und lie­fert ein Pan­ora­ma jüdi­scher Leidensgeschichte(n) aus fast 100 Jahren.

Auf der Suche nach einem Geschenk für sei­ne Freun­din stösst Eli­as Ehren­werth in einem Ber­li­ner Trö­del­la­den auf einen alten, edlen Kof­fer, der — welch glück­li­che Fügung! — die Initia­len sei­ner Freun­din trägt: L.W. Doch dann mag er das Fund­stück doch nicht ver­schen­ken, jeden­falls nicht, bevor er das Geheim­nis um den ursprüng­li­chen Besit­zer, einen 1939 ver­schol­le­nen jüdi­schen Autor geklärt hat.

Ehren­werths Jagd­fie­ber — und mit ihm das der Leser — steigt von Sei­te zu Sei­te: Der unmit­tel­ba­re Vor­be­sit­zer war Hamed, ein ara­bi­scher Stu­dent aus Isra­el, der die Anti­qui­tät von sei­nem Gross­va­ter bekom­men hat. Und die­ser hat­te den Kof­fer 1939 im Hafen von Jaf­fa an sich genom­men, weil kein Pas­sa­gier des zuge­hö­ri­gen Ein­wan­de­rer­schiffs ihn abhol­te. Wo aber ist Wein­he­ber abgeblieben?

Lie­be in schwie­ri­gen Zeiten

Eli­as fliegt nach Isra­el und spricht bei Opa Gibril vor. Die­ser hat vom Kof­fer­in­halt eine Rei­se­schreib­ma­schi­ne und ein Doku­men­ten­kon­vo­lut auf­be­wahrt, das darf Ehren­werth ger­ne haben. Auf die Schreib­ma­schi­ne ver­zich­tet der Recher­cheur — ein Feh­ler, wie sich zeigt, denn sie ent­hält den ent­schei­den­den Hinweis.

Auf die Papie­re — eine Samm­lung Brie­fe und ein Roman­ma­nu­skript — aber stürzt sich Ehren­werth gie­rig. Sie erzäh­len ihm zwei Geschich­ten: die wah­re Lie­bes­ge­schich­te zwi­schen dem Autor Leo­nard Wein­he­ber und der Schau­spie­le­rin Hele­ne Rosen­blum wäh­rend der Nazi­zeit und die fik­ti­ve Geschich­te eines Anwalts, der nach dem Pogrom im Ber­li­ner Scheu­nen­vier­tel 1923 einem jüdi­schen Krä­mer zu sei­nem Recht ver­hel­fen will. Kei­ne der Geschich­ten geht gut aus.

Kein Zuhau­se — nirgends

Par­al­lel zur Lek­tü­re forscht Ehren­werth in Isra­el nach Leu­ten, die Wein­he­ber gekannt haben könn­ten. Nicht alle Gesprä­che sind hilf­reich, vie­le ver­mit­teln “nur” his­to­ri­sche Stim­mungs­la­gen — in Nazi­deutsch­land eben­so wie im jun­gen Staat Israel.

Nur eine Per­son spürt er auf, die Wein­he­ber näher­ge­kom­men ist: Eine Frau, damals noch ein Teen­ager, hat­te auf der Über­fahrt nach Isra­el ver­sucht, mit dem Autor anzu­ban­deln. Es zeigt sich, dass Wein­he­ber Deutsch­land — auch wenn es ihn als Juden übel behan­del­te — nur ungern ver­liess. Ein­zig die gros­se Lie­be, die ihm ins Kib­buz vor­aus­ge­gan­gen war, ver­lieh sei­nem Exil Sinn. Den­noch ging er nicht von Bord.

Viel­leicht spukt er als Ewi­ger Jude noch immer auf einem Schiff her­um, sug­ge­riert ein­mal jemand — ewig auf Über­fahrt, weder im Geburts­land zu Hau­se noch im Gelob­ten Land. Das erweist sich am Schluss als gar nicht so falsch.

Unspek­ta­ku­lär, aber gekonnt gemacht

Unter­füt­tert hat Berg­mann die äus­se­re Hand­lung mit der Paläs­ti­na­fra­ge. Ehren­werth ist — anders als sein intel­lek­tu­el­les Ber­li­ner Umfeld — ein glü­hen­der Ver­tei­di­ger Isra­els. Immer wie­der führt er Streit­ge­sprä­che, nament­lich mit sei­nem paläs­ti­nen­si­schen Freund Amin. Der Autor Berg­mann schlägt sich dabei aber nicht auf Ehren­werths Sei­te, son­dern zeigt bei­de Sei­ten der Medaille.

Und so ent­steht eine drit­te Geschich­te: Die Wand­lung des Klug­scheis­sers Ehren­werth zu einem, der in Gesprä­chen mit ver­schie­dens­ten, von der Paläs­ti­na­fra­gen betrof­fe­nen Men­schen zu einer dif­fe­ren­zier­te­ren Ein­stel­lung fin­det. Wein­he­bers Kof­fer, sagt er ein­mal, habe ihn gefun­den, nicht umge­kehrt — Wein­he­bers Kof­fer habe sein Leben verändert.

Berg­mann hat die Gabe, Witz und Tief­grün­dig­keit zur span­nen­den Unter­hal­tung zusam­men­zu­spin­nen. Er ver­dich­tet eine Viel­zahl von Moti­ven auf nur 142 Sei­ten — und den­noch wirkt das Gele­se­ne luf­tig. Wie weni­ge ver­steht er es über­dies, die Ton­ar­ten sei­nen Cha­rak­te­ren anzu­pas­sen: Ehren­werth, Wein­he­ber, Hele­ne und die ver­schie­de­nen Zeit­zeu­gen haben ihre je eige­ne Aus­drucks­wei­se. Soli­des Handwerk.

weinhebers-koffer
Durch­ge­le­sen – “Wein­he­bers Kof­fer” v. Michel Bergmann

Fräu­lein Julia, 17.02.2015
Ein ein­dring­li­ches Büch­lein im Hosen­ta­schen­for­mat: In “Wein­he­bers Kof­fer” von Michel Berg­mann geht ein Ber­li­ner Fil­me­ma­cher der Geschich­te eines jüdi­schen Schrift­stel­lers nach, der 1939 per Schiff nach Paläs­ti­na emi­grier­te – doch nur sein Kof­fer kam dort an…

In mei­nem Flur steht seit etli­chen Jah­ren ein alter Ste­war­des­sen-Kof­fer, schwarz und über und über mit Auf­kle­bern aus Hotels und Restau­rants fer­ner Län­der beklebt. Ich hat­te ihn in der Ober­stu­fe für ein Kunst-Pro­jekt auf dem Floh­markt gekauft und mir zu der Besit­ze­rin eine Lebens­ge­schich­te aus­ge­dacht. Wem der Kof­fer wirk­lich gehör­te, hat mich komi­scher­wei­se nie wei­ter beschäftigt.

Eli­as Ehren­werth, die Haupt­fi­gur in dem Roman, ist da anders. Auf der Suche nach einem eben­so kurz­fris­ti­gen wie aus­ge­fal­le­nen Geburts­tags­ge­schenk für sei­ne Freun­din – Män­ner! – lan­det er in einem Kreuz­ber­ger Trö­del­la­den, wo er sich einen alten Kof­fer auf­schwat­zen lässt. Doch als er im Innern die alte Visi­ten­kar­te eines Dr. phil Leo­nard Wein­he­ber fin­det, muss sich die Freun­din mit Blu­men und Pra­li­nen ver­gnü­gen – Eli­as behält den Kof­fer und beginnt mit Nach­for­schun­gen. Wer war die­ser Weinheber?

Kattegat-3-dunkel.inddÜber drei Ecken führt ihn die Spur nach Isra­el, wo ihm der Groß­va­ter des jun­gen Man­nes, der den Kof­fer mit nach Ber­lin brach­te, sei­ne Geschich­te erzählt: Als 1939 eines der etli­chen Schif­fe mit Emi­gran­ten aus Nazi-Deutsch­land in Paläs­ti­na ankam, sei das Gepäck­stück als ein­zi­ges nicht abge­holt wor­den. Auch in den Jah­ren danach habe sich der Besit­zer nicht gemel­det. Fas­zi­niert ver­tieft sich Eli­as in die Brie­fe und Manu­skrip­te, die in dem Kof­fer gele­gen hat­ten, und immer wei­ter lüf­tet sich der Schlei­er um das geheim­nis­vol­le Ver­schwin­den des jüdi­schen Schrift­stel­lers. Doch es bleibt ein Rät­sel: War­um kam damals ledig­lich der Kof­fer an, wäh­rend von dem Besit­zer bis heu­te jede Spur fehlt?

Auf nur 140 Sei­ten schafft es Michel Berg­mann gekonnt, die schmerz­haf­te Geschich­te der (Ber­li­ner) Juden, die in den 1930er Jah­ren auf der Suche nach Frie­den Rich­tung Paläs­ti­na emi­grier­ten, mit dem aktu­ell wie­der beson­ders schwe­len­den Kon­flikt zwi­schen Isra­el und Paläs­ti­na zu verweben.

Allein die­se ver­schie­de­nen Erzähl­strän­ge hät­ten genü­gend Stoff für min­des­tens zwei Bücher gege­ben, und so geht es ein biss­chen zu Las­ten der Lese­freu­de, wenn die tur­bu­len­ten Lebens­ge­schich­ten der Men­schen, die Eli­as auf sei­ner Recher­che ken­nen­lernt, mit­un­ter auf einer hal­ben Sei­te abge­han­delt wer­den. Wie ger­ne wäre man tie­fer in die Erin­ne­run­gen die­ser – trotz der weni­gen Wor­te äußerst lie­be­voll gezeich­ne­ten – Men­schen eingetaucht!
By durch­le­ser on 25. Janu­ar 2015
Die Suche nach einem Geburts­tags­ge­schenk ist nicht immer ein leich­tes Unter­fan­gen, doch wenn plötz­lich ein Objekt sich als das poten­ti­el­le Prä­sent zu einer voll­kom­men uner­war­te­ten Ent­de­ckung ent­puppt, wird die Neu­gier­de nicht nur bei dem Prot­ago­nis­ten, son­dern auch beim Leser geschürt. „Wein­he­bers Kof­fer“ ist nicht nur der Titel des neu­en Romans von Michel Berg­mann, son­dern auch der Ursprung eines beson­de­ren Geheimnisses.
Michel Berg­mann, gebo­ren 1945 als Kind inter­nier­ter jüdi­scher Flücht­lin­ge in der Schweiz, ver­brach­te sei­ne Kind­heit und Jugend in Paris und in Frank­furt am Main. Nach der Aus­bil­dung bei der Frank­fur­ter Rund­schau arbei­te­te Berg­mann als frei­er Jour­na­list, wech­sel­te aber spä­ter in die Film­bran­che und ist inzwi­schen als Regis­seur, Film­pro­du­zent und ins­be­son­de­re als Dreh­buch­schrei­ber – unter ande­rem für die Seri­en “Poli­zei­ruf 110″ und “Unter Ver­dacht” – tätig. Sein ers­ter Roman „Die Teila­cher“ erschien 2010 und war so erfolg­reich, dass er sogar 2013 ver­filmt wur­de. Nach ver­schie­de­nen Roma­nen und Erzäh­lun­gen erscheint nun ganz aktu­ell sein neu­er Roman „Wein­he­bers Koffer“!
Die Rah­men­ge­schich­te spielt in Ber­lin. Die Haupt­fi­gur ist der Jour­na­list und Fil­me­ma­cher Eli­as Ehren­werth, der wie bereits ein­gangs kurz erwähnt ein pas­sen­des Geschenk für sei­ne Freun­din Lisa Win­ter sucht. In einer Art Trö­del­ge­schäft stö­bert Ehren­werth nach dem rich­ti­gen Prä­sent, ent­deckt viel Unbrauch­ba­res, Über­flüs­si­ges und Altes. Dabei wird er fün­dig: ein Leder­kof­fer mit unglaub­lich vie­len Auf­kle­bern, die sub­til und dis­kret die gros­sen „Rei­se­er­fah­run­gen“ die­ses Gepäck­stü­ckes erzähl­ten. Doch das Beson­de­re an dem Kof­fer waren vor allem die imprä­gnier­ten Initia­len L.W.! Ganz klar für Ehren­werth, das wür­de per­fekt zu Lisa Win­ter pas­sen und somit kauft er die­ses Fundstück.
Bei sich zu Hau­se öff­net Ehren­werth den Kof­fer und fin­det zu sei­ner Über­ra­schung eine alte Visi­ten­kar­te von einem besag­ten Dr. phil. Leo­nard Wein­he­ber, wohn­haft Vik­to­ria-Loui­se-Platz 14 in Ber­lin-Wil­mers­dorf. Ab die­sem Zeit­punkt war die Ent­schei­dung getrof­fen, der Kof­fer konn­te erst als Geschenk ein­ge­setzt wer­den, wenn Ehren­werth her­aus­ge­fun­den hät­te, wer die­ser Leo­nard Wein­he­ber wirk­lich war.
Eli­as Ehren­werth macht sich auf den Weg an die auf der Visi­ten­kar­te ange­ge­be­ne Adres­se und erfährt, dass es sich bei Wein­he­ber um einen Schrift­stel­ler han­delt, der 1939 auf der Flucht vor den Nazis sein gelieb­tes Deutsch­land ver­las­sen muss­te und es kei­nen ande­ren Aus­weg mehr für ihn gab, als nach Isra­el zu flie­hen. Ehren­werth forscht inten­siv nach, woher denn nun die­ser Kof­fer als letz­tes kam und wird über meh­re­re Ecken einen ers­ten Anhalts­punkt in Isra­el fin­den. Er reist in das Land, das viel­leicht der letz­te Lebens­mit­tel­punkt von Wein­he­ber sein konn­te bzw. auch sein soll­te. In Isra­el trifft er auf den Gross­va­ter (Ara­ber) des Trö­del­händ­lers in Ber­lin, der die­sen Kof­fer sei­nem Enkel für sei­ne Rei­se nach Deutsch­land mit­ge­ge­ben hat­te. Der alte Mann ist äus­serst hilfs­be­reit. Er ent­deck­te den Kof­fer am Hafen­kai von Jaf­fa, wo er frü­her gear­bei­tet hat­te. Da der Kof­fer nie vom dor­ti­gen Fund­bü­ro von sei­nem recht­mäs­si­gen Besit­zer abge­holt wur­de, durf­te er die­sen mit nach Hau­se neh­men. Der alte Mann pass­te gut auf den Inhalt auf, die Klei­dung trug er ganz vor­sich­tig und die Doku­men­te, wie Brie­fe von Wein­he­bers gros­ser Lie­be, aber auch ein Buch­ma­nu­skript wur­den sorg­fäl­tig auf­ge­ho­ben. Eli­as Ehren­werth freu­te sich sehr, dass er nun die­se inter­es­san­ten Papie­re gefun­den hat­te und dadurch hof­fent­lich dem mys­te­riö­sen Geheim­nis um Wein­he­bers Kof­fer und der damit ver­knüpf­ten dra­ma­ti­schen Lebens­ge­schich­te end­lich auf die Spur kam…
Der Roman hat zwar nur 140 Sei­ten, ent­hält aber so vie­le Geschich­ten, Erfah­run­gen, Ein­drü­cke, Emo­tio­nen, als wür­de man vor einem dicken Schmö­ker sit­zen, der einen von der ers­ten bis zur letz­ten Sei­te nicht mehr los­lässt. Michel Berg­mann hat eine beson­de­re Gabe, die sicher­lich auch sei­nem Erfolg als Dreh­buch­schrei­ber zuzu­ord­nen ist: er kann in ver­schie­de­nen Ebe­nen, Sprach­sti­len und äus­serst poin­tier­ten Dia­lo­gen schrei­ben. Sel­ten wird man ein Werk fin­den, das so unauf­ge­regt und flies­send zwi­schen einer jour­na­lis­tisch locke­ren Feder und einer wahr­lich ele­gant lite­ra­ri­schen Erzähl­kunst wech­selt. Dadurch wird die Rah­men­hand­lung in Ber­lin zu einem amü­sant, pro­vo­ka­ti­ven Feu­er­werk und die ein­ge­bet­te­te und eher düs­te­re Geschich­te um Leo­nard Wein­he­ber zu einer sehr emo­tio­na­len, aber his­to­risch nicht unwich­ti­gen Recher­che, die das The­ma Ver­trei­bung aus der Hei­mat gepaart mit Trau­er und Sehn­sucht sehr gut darstellt.
„Wein­he­bers Kof­fer“ ist ein ganz beson­de­rer Roman. Er beschäf­tigt sich so raf­fi­niert und prä­gnant mit der trau­ri­gen Ver­gan­gen­heit, die beim Leser durch die­sen eigent­lich so bana­len Kof­fer eine so uner­sätt­li­che Neu­gier­de aus­löst, dass wir an dem Text wirk­lich vom ers­ten Moment an wahr­lich fest­kle­ben und unbe­dingt alles über Leo­nard Wein­he­ber wis­sen wol­len. Michel Berg­mann gelingt es, ein schwie­ri­ges The­ma der Geschich­te spie­le­risch, aber trotz­dem sehr ernst­haft wie­der in Erin­ne­rung zu brin­gen. Der Roman unter­hält auf wun­der­bar intel­lek­tu­el­le Wei­se, amü­siert uns in man­cher­lei Hin­sicht und lässt uns aber auch gleich­zei­tig nach­denk­lich und vor allem sehr nach­hal­tig berührt am Ende zurück.

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Ein geheim­nis­vol­ler Koffer
Wein­he­bers Koffer
von Michel Bergmann
Vor­ge­stellt von Anne­ma­rie Stoltenberg

Anhand von “Wein­he­bers Kof­fer” führt uns Michel Berg­mann in die Vergangenheit.
Der Jour­na­list und Dreh­buch­au­tor Michel Berg­mann wur­de 1945 in der Schweiz als Kind jüdi­scher Flücht­lin­ge gebo­ren. Sei­nen ers­ten Roman ver­öf­fent­lich­te er 2010 mit dem Titel “Die Teila­cher”. Es folg­ten dann noch “Mach­loi­kes” und “Herr Klee und Herr Feld” — Geschich­ten von jüdi­schem Leben in Deutsch­land nach dem Zwei­ten Welt­krieg. Nun hat Michel Berg­mann einen neu­en Roman geschrie­ben, mit dem er die Ver­gan­gen­heit anhand eines Gegen­stands noch ein­mal auf­er­ste­hen lässt: “Wein­he­bers Koffer”.
Ein Kof­fer vol­ler Aufkleber
144 Sei­ten lang ist der eher schma­le Roman. Die Geschich­te han­delt von einem Fil­me­ma­cher, der ein Geschenk für sei­ne Freun­din sucht und bei einem Tröd­ler einen Kof­fer ent­deckt, der mit den Initia­len L.W. gekenn­zeich­net ist. Es sind auch die Initia­len sei­ner Freun­din Lisa Win­ter und so erwirbt er den alten Kof­fer, um ihn dann aller­dings doch nicht zu ver­schen­ken. Er ist fas­zi­niert von den Auf­kle­bern, die allein schon eine Geschich­te erzäh­len, und dem Hin­weis auf den frü­he­ren Besit­zer: “Dr. phil. Leon­hard Wein­he­ber, Ber­lin-Wil­mers­dorf, Vic­to­ria-Loui­se-Platz 14. Fern­spre­cher 42371.”
Auf den Spu­ren des Besitzers
Die Haupt­fi­gur des Romans, der Fil­me­ma­cher Eli­as Ehren­werth, wit­tert eine span­nen­de Sto­ry und geht Stück für Stück den Hin­wei­sen auf Leo­nard Wein­he­ber nach. Er fährt zum Vic­to­ria-Loui­se-Platz in Ber­lin, fin­det her­aus, dass Wein­he­ber Schrift­stel­ler war und 1939 auf der Flucht vor den Nazis sei­ne Hei­mat ver­las­sen muss­te und nach Isra­el aus­wan­dern woll­te. Wir Leser beglei­ten Eli­as Ehren­werth bei sei­nen Recher­chen bis nach Isra­el, wo er hin­fliegt, um den Mann zu tref­fen, der Wein­he­bers Kof­fer sei­nem Enkel mit nach Deutsch­land gege­ben hat.
Vom trau­ri­gen Ver­lust der Heimat

Er ist Regis­seur, Jour­na­list und Schrift­stel­ler: der in der Schweiz gebo­re­ne Michel Bergmann.
Ehren­werth ist erfolg­reich bei sei­ner Suche nach Leo­nard Wein­he­bers Spu­ren, er wird ein Roman­ma­nu­skript von ihm ent­de­cken und vie­les mehr. Es ist Michel Berg­manns altes The­ma, das hier noch ein­mal mit Weh­mut und Trau­er erzählt wird: Was es bedeu­tet, aus sei­ner Hei­mat ver­trie­ben zu wer­den. Geschrie­ben ist das sozu­sa­gen sti­lis­tisch gestreift, zum einen mit einer ganz heu­ti­gen Schnodd­rig­keit, in den schö­nen Pas­sa­gen des Buches, aber auch mit gro­ßer Anmut und Wür­de. Geschickt sind Zita­te aus Wein­he­bers düs­te­rem Roman­ma­nu­skript und aus Brie­fen sei­ner Gelieb­ten eingewoben.
Ein paar Mängel
Aber es gibt auch ärger­li­che Pas­sa­gen. Zum Bei­spiel, als der Ich-Erzäh­ler zu Beginn berichtet:
Leseprobe:
Ich hat­te einen Blu­men­strauß und dazu eine edle Dose […] erstan­den, eine fri­vo­le Süßig­keit aus Bel­gi­en, für die Lisa sich (und mich) hin­ge­ben wür­de. Dar­über hin­aus war vor­ge­se­hen, ihr das Lese­ex­em­plar des neu­en Romans von Jojo Moyes zu schen­ken, das ich mir unter Vor­spie­ge­lung fal­scher Tat­sa­chen (habe vor, eine Rezen­si­on zu schrei­ben, ha, ha) vom Ver­lag hat­te zuschi­cken las­sen, wie ich es oft mache.
Wirk­lich wit­zig ist die­ses necki­sche Geständ­nis des Hel­den nicht. In Isra­el wohnt Ehren­werth im Hotel, eini­ge Zei­len spä­ter ist es eine Fami­li­en­pen­si­on, und ein­mal durch­quert er ein Gewer­be­ge­biet, das mit dem Wort “lieb­los” beschrie­ben wird. Lieb­los ist noch mal etwas ande­res. Aber die Geschich­te ist gut genug, um sol­che Män­gel auszuhalten.
Berg­mann erzählt mit Tem­pe­ra­ment und Mut
Wein­he­bers Kof­fer war bei einem Ara­ber gelan­det, der 1939 im Hafen von Jaf­fa gear­bei­tet hat, ihn dort am Kai ent­deckt und zuerst zum Fund­bü­ro gebracht und dann mit nach Hau­se genom­men hat­te, nach­dem sich kein Eigen­tü­mer mel­de­te. Die ele­gan­te Klei­dung hat er sein Leben lang getra­gen und in Ehren gehal­ten und die Papie­re, die dar­in waren, sorg­fäl­tig auf­ge­ho­ben. Berg­mann erzählt mit Tem­pe­ra­ment und Mut zur Mei­nung auch zur gegen­wär­ti­gen poli­ti­schen Lage und er lässt alle Sei­ten zu Wort kommen.
Schließ­lich wischt man sich ver­stoh­len eine Trä­ne aus dem Augen­win­kel, wenn zum Schluss alle Puz­zle­tei­le von Leon­hard Wein­he­bers Lebens­lauf für uns heu­ti­ge Leser zusam­men­ge­tra­gen sind.
Buchtipp

16.02.2015
Als sich der Jour­na­list Eli­as Ehren­werth auf die Suche nach einem Geburts­tags­ge­schenk für sei­ne Freun­din Lisa Win­ter macht, fin­det er in einem Second-Hand-Laden einen alten Kof­fer mit den Initia­len L.W. In der fes­ten Absicht, die­sen Kof­fer sei­ner Freun­din zu schen­ken, nimmt er ihn mit nach Hau­se. Dort ange­kom­men ent­deckt er beim nähe­ren Betrach­ten eine Visi­ten­kar­te des ehe­ma­li­gen Kof­fer­be­sit­zers: Dr. phil. Leo­nard Wein­he­ber. Neu­gie­rig wer das wohl sein mag, macht sich Ehren­wirth auf die Suche.

Ehren­wirth, der als Jour­na­list und Fil­me­ma­cher hin­ter die­sem Kof­fer eine span­nen­de Geschich­te wit­tert, erzielt schnell ers­te Erfolgs­er­geb­nis­se. Sei­ne Suche nach Wein­he­ber führt ihn von Ber­lin nach Isra­el. Dort­hin woll­te der damals noch jun­ge Schrift­stel­ler flie­hen, kurz nach der Reichs­po­grom­nacht im Novem­ber 1938. In Isra­el ange­kom­men, trifft er sich mit dem Mann, der den Kof­fer sei­nem Enkel mit nach Deutsch­land gege­ben hat. Nicht ahnend, wie sehr ihn die­ses Tref­fen und sei­ne wei­te­ren Recher­chen emo­tio­nal erschüt­tern werden.

Es ist eine Geschich­te über den Ver­lust lieb­ge­won­ne­ner Men­schen, über das Zurück­las­sen der eige­nen See­le, das Auf­ge­ben der eige­nen Frei­heit, die letzt­end­lich gar kei­ne mehr ist. Getrie­ben von der Angst nicht mehr der sein zu dür­fen, der man ist. Kei­ne Rech­te mehr zu haben, weil man in ande­rer Leu­te Augen dem fal­schen Glau­ben angehört.

Die­ser kur­ze, und auf den ers­ten Blick recht unschein­ba­re Roman, flösst einem beim Lesen soviel Angst und Schre­cken ein, dass man im ers­ten Moment froh ist, damals nicht gelebt zu haben. Doch je wei­ter die Geschich­te vor­an­schrei­tet, des­to bewuss­ter wird einem, wie aktu­ell das Geschil­der­te ist. Durch die häu­fi­gen Wech­sel zwi­schen Ver­gan­gen­heit und Gegen­wart, und die im Vor­der­grund ste­hen­de Fra­ge, was denn wirk­lich mit Wein­he­ber gesche­hen ist, wird einem die poli­ti­sche Aktua­li­tät die­ses Romans erst nach und nach bewusst. Die Aus­ein­an­der­set­zun­gen in Isra­el, das Leid der Men­schen, und auch hier die Unge­wiss­heit wie es in Zukunft weitergeht.

Trotz gera­de ein­mal 142 Sei­ten ist dies eine so ein­dring­li­che Geschich­te, die sowohl den Schre­cken der Ver­gan­gen­heit wie­der ans Tages­licht holt, als auch die aktu­el­le poli­ti­sche Lage wider­spie­gelt. Eine Geschich­te die ins Herz trifft, die einen sprach­los zurück­lässt und man sich nichts sehn­li­cher wünscht, als das jeder Hei­mat­lo­se, jeder Ver­trie­be­ne dort­hin zurück­keh­ren darf, wo die See­le zuhau­se ist, und zwar in Frieden!

Ich kann es nicht her­aus­rei­ßen aus mei­nem Her­zen, sag­te er, mein Deutsch­land ist nicht das Land der Nazis. Es ist das Land Schil­lers, Bör­nes, Beet­ho­vens… Ich habe über drei­ßig Jah­re in die­sem Land gelebt. Ich habe es noch gekannt, als es noch nicht schul­dig war, noch nicht infi­ziert vom Geist des Bösen…Ich habe Büch­ner ver­ehrt und Tho­mas Mann. All das hat sich ein­ge­brannt in mei­ne See­le und das lässt sich nicht wegwischen.